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Kein Ende in Sicht: weiter hohe Netto-Mittelabflüsse bei offenen Immobilienfonds

Mike Lehmann • 14. Mai 2025

Die Situation bei den offenen Immobilienfonds (OIF) spitzt sich weiter zu – und es handelt sich offensichtlich nicht mehr um einen kurzfristigen Sondereffekt, sondern um eine strukturelle Vertrauenskrise.


Faktenlage laut Bundesbank
Nach Abflüssen von 499 Mio. EUR im Januar wurden im Februar weitere 730 Mio. EUR aus offenen Immobilienfonds (OIF) abgezogen – der höchste monatliche Netto-Abfluss seit 2016 und bereits der 19. Monat in Folge mit negativen Zuflüssen. Seit September 2023 summieren sich die Mittelabflüsse auf rund 8 Mrd. EUR.

Parallel dazu steigen die Verbindlichkeiten der Fonds kontinuierlich – eine Entwicklung, die primär auf die gestiegenen Darlehenszinsen zurückzuführen ist. Laut aktueller Marktanalyse lag die durchschnittliche Fremdkapitalquote der OIF im Jahr 2024 bei 16,6 %. Kleinere Fonds bewegen sich dabei vielfach bereits nahe an der gesetzlichen Obergrenze.


Regulatorischer Rahmen und Risikoverstärker
Gemäß Kapitalanlagegesetzbuch (KAGB) dürfen offene Immobilienfonds Kredite bis zu 30 % des Verkehrswerts ihrer Immobilien aufnehmen. Problematisch wird es, wenn diese Verkehrswerte – etwa infolge von Marktverwerfungen oder Abwertungen wie zuletzt bei Union Investment – sinken und gleichzeitig die Finanzierungskosten steigen. In einem solchen Szenario geraten die Fonds doppelt unter Druck: bilanziell durch steigende Verschuldungsgrade und operativ durch mögliche Liquiditätsengpässe bei gleichzeitigem Rückgabeverlangen der Anleger.


Auch weniger erfahrene Investoren können inzwischen nachvollziehen, wie fragil die Balance zwischen Liquidität, Bewertung und Finanzierung in diesem Marktsegment geworden ist.


Hintergrund
Da bei offenen Immobilienfonds eine gesetzliche Kündigungsfrist von zwölf Monaten gilt, hängen aktuelle Rückgaben oft mit Ereignissen ein Jahr zuvor zusammen. Im Fokus steht vermutlich die Insolvenz der Signa-Gruppe von René Benko im Herbst 2023, die viele institutionelle wie private Anleger zum Handeln veranlasst hat. Ausschlaggebend ist jedoch die Gesamtsituation: Skandale in der Immobilienbranche, der strukturelle Nachfragerückgang bei Büroflächen, eine niedrige Rendite im Vergleich zu Termin- und Rentenmarkt, eingeschränkte Liquidität – sowie eine vielfach unrealistische Risikoeinstufung der Fonds.


Herausforderung für Fondsmanager
Das Liquiditätsmanagement wird zur zentralen Herausforderung. Reichen die Mittel nicht aus, um Rückgaben zu bedienen, drohen Notverkäufe – häufig unter Buchwert. Diese Abschläge können die Fondswerte weiter belasten und eine negative Dynamik auslösen.


Ausblick
Im Sommer könnte sich die Lage erneut zuspitzen: Dann jährt sich die markante 17 %-Abwertung eines großen offenen Immobilienfonds. Eine erneute Bewertungsrunde dürfte erneut Rückgabewellen auslösen – insbesondere, wenn weitere Abwertungen folgen.


Meinung
Offene Immobilienfonds stecken zunehmend in einem strukturellen Dilemma: langfristig gebundene, illiquide Vermögenswerte treffen auf kurzfristiges, oft nervöses Anlegerverhalten. Solange Immobilienpreise stagnieren oder fallen, bleibt die Anlageklasse unter Druck – zumal liquide Alternativen wie Tages- oder Festgeld mit attraktiven Zinsen locken. Auch neuere Vehikel wie ELTIFs, die in Infrastruktur investieren, bieten institutionellen und privaten Anlegern zunehmend attraktive Alternativen mit kalkulierbarem Risiko.


Auffällig ist, dass einige Finanzvertriebe und Banken offene Immobilienfonds aktuell wieder verstärkt als krisenfeste und chancenreiche Anlage bewerben – nicht selten begleitet von überdurchschnittlich hohen Vertriebsprovisionen. Dabei entsteht ein Interessenkonflikt: Der wirtschaftliche Anreiz für den Vertrieb kann dazu führen, dass die Risiken – etwa in Bezug auf Liquidität, Verkehrswertschwankungen oder Rückgabefristen – gegenüber dem Kunden nicht ausreichend kommuniziert werden.


Es entsteht ein Kreislauf, bei dem das Geld neuer Anleger nötig wird, um die Ansprüche der früheren zu erfüllen – ein fragiles Modell, das stark vom Vertrauen lebt. Auch wenn dies gesetzlich zulässig und formal korrekt strukturiert sein mag, nähert sich das System bei anhaltenden Abflüssen einem kritischen Punkt. Bricht dieses Vertrauen weg, kann sich der Mechanismus schnell selbst verstärken.


Und da die jüngsten Anleger zugleich diejenigen mit der längsten Rückgabefrist sind, dürften sie – im Falle einer angespannten Marktlage – als Letzte zum Zug kommen. Oder zugespitzt gesagt: Es sind meist die Letzten, die von den Hunden gebissen werden.


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