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Indien übernimmt das Ruder: Die BRICS treten in eine neue Phase ein

Mike Lehmann • 18. Dezember 2025

Der Staatenbund wächst rasant – und 2026 plant Neu-Delhi, die Gruppe vollkommen neu auszurichten. Was bedeutet das für die globale Ordnung?


Es ist ein stiller, aber gewaltiger Machtwechsel, der sich am anderen Ende der Welt vollzieht. Während in Europa die Energiekrise und Inflation die Schlagzeilen beherrschen, formiert sich im sogenannten Globalen Süden eine Alternative zur westlich geprägten Weltordnung. Die BRICS, jener Staatenbund, der ursprünglich nur aus fünf Ländern bestand, haben sich binnen weniger Jahre zu einem Schwergewicht entwickelt, das knapp die Hälfte der Weltbevölkerung vertritt.


Im Januar 2025 trat Indonesien als zehntes Vollmitglied bei. Ägypten, Äthiopien, Iran und die Vereinigten Arabischen Emirate waren bereits ein Jahr zuvor dazugekommen. Brasilien führte 2025 den Vorsitz, doch nun steht ein Wechsel bevor, der weitreichende Folgen haben könnte: 2026 übernimmt Indien die Präsidentschaft – und Premierminister Narendra Modi hat bereits angekündigt, das Bündnis „in einer neuen Form zu definieren“.


Was einst als Investmentidee begann


Die Geschichte der BRICS beginnt eigentlich in einer New Yorker Investmentbank. Im Jahr 2001 erfand der Wirtschaftsanalyst Jim O’Neill bei Goldman Sachs das Kunstwort „BRIC“ – zusammengesetzt aus den Anfangsbuchstaben von Brasilien, Russland, Indien und China. Diese vier Länder, so O’Neills These, würden die Weltwirtschaft in den kommenden Jahrzehnten maßgeblich prägen.


Was als Anlagestrategie gedacht war, entwickelte jedoch schnell politische Eigendynamik. 2009 fand in Jekaterinburg das erste Gipfeltreffen der vier Länder statt. Ein Jahr später kam Südafrika hinzu – aus BRIC wurde BRICS. Lange Zeit betrachtete man das Bündnis im Westen eher skeptisch: zu unterschiedlich die politischen Systeme, zu verschieden die wirtschaftlichen Interessen, zu schwach die gemeinsame Struktur. Das Bündnis hat weder ein festes Sekretariat noch eine verbindliche Charta.


Ein Bund ohne Einheit – aber mit gemeinsamen Zielen


Tatsächlich wirkt die Gruppe auf den ersten Blick wie ein Sammelsurium. Demokratien wie Indien und Brasilien sitzen am selben Tisch wie autoritär regierte Staaten. Wirtschaftsmächte wie China – das allein zwei Drittel der gesamten Wirtschaftsleistung der BRICS stemmt – stehen neben ärmeren Mitgliedern wie Äthiopien. Manche Länder, etwa Ägypten und Äthiopien, streiten sogar untereinander um lebenswichtige Ressourcen wie das Nilwasser.


Dennoch eint die Mitglieder ein zentrales Anliegen: Sie wollen mehr Mitsprache in der Weltpolitik. Die bestehenden internationalen Institutionen – der Internationale Währungsfonds, die Weltbank, die Vereinten Nationen – spiegeln aus Sicht der BRICS-Staaten nicht mehr die tatsächlichen Machtverhältnisse wider. Zu stark dominiert der Westen, zu gering ist der Einfluss der Schwellenländer.


Rasante Erweiterung mit mehr als 30 Interessenten


Die jüngste Entwicklung zeigt, dass diese Kritik auf fruchtbaren Boden fällt. Mehr als 30 Staaten weltweit haben bereits Interesse an einer Mitgliedschaft bekundet. Darunter befinden sich weitere südostasiatische Länder wie Malaysia, Thailand und Vietnam. Auch die Türkei, immerhin NATO-Mitglied, hat einen Antrag gestellt – ein bemerkenswerter Schritt, der die tektonischen Verschiebungen in der Geopolitik verdeutlicht.


Die Gründe für das wachsende Interesse sind vielfältig. Viele Länder sehen in den BRICS eine Möglichkeit, sich vom Dollar-basierten Finanzsystem unabhängiger zu machen. Andere erhoffen sich bessere Handelsbeziehungen oder Zugang zu Entwicklungskrediten über die BRICS-eigene Neue Entwicklungsbank. Wieder andere suchen schlicht nach mehr außenpolitischen Optionen in einer zunehmend multipolaren Welt.


Indien will die Stimme des Südens verstärken


Mit der Übernahme der Präsidentschaft 2026 will Indien dem Bündnis eine klare Richtung geben. „BRICS steht für den Aufbau von Widerstandsfähigkeit“, erklärte Modi beim jüngsten Gipfel in Rio de Janeiro. Er verwies dabei auf Indiens erfolgreiche G20-Präsidentschaft, bei der es gelungen war, die Anliegen des Globalen Südens stärker zu verankern.


Modi betonte, dass die Themen der Entwicklungsländer unter indischer Führung Priorität haben werden. Der „Globale Süden“ – ein Begriff, der all jene Länder umfasst, die weder zu den etablierten westlichen Industrienationen noch zu deren engsten Verbündeten zählen – setzt große Hoffnungen in die BRICS. Viele dieser Länder fühlen sich von der westlichen Politik bevormundet oder nicht ausreichend gehört.


Indien nimmt dabei eine besondere Rolle ein. Das Land ist die bevölkerungsreichste Nation der Welt, verfügt über eine wachsende Wirtschaft und pflegt gleichzeitig gute Beziehungen sowohl zum Westen als auch zu Russland und China. Diese Position könnte Indien zum Vermittler innerhalb der manchmal kontroversen Gruppe machen.


Spannungen im Inneren


Doch die Herausforderungen sind groß. Die BRICS sind alles andere als ein einheitlicher Block. China und Russland verfolgen eine deutlich konfrontativere Linie gegenüber dem Westen als etwa Brasilien oder Indien. Während Moskau die Gruppe gerne als Gegengewicht zur westlichen Dominanz aufbauen würde, sehen andere Mitglieder die BRICS eher als zusätzliche Plattform zur Wahrung ihrer nationalen Interessen – nicht als Anti-West-Bündnis.


Auch zwischen China und Indien schwelen Konflikte. Im Himalaja kommt es immer wieder zu Grenzzwischenfällen zwischen den beiden Atommächten. Brasilien wiederum hatte zeitweise Vorbehalte gegen eine zu starke Erweiterung, aus Furcht, dass sein eigener Einfluss dadurch schrumpfen könnte.


Der Ukraine-Krieg hat diese Spannungen sichtbar gemacht. Während Russland auf Verständnis für seine Position hoffte, enthielten sich die meisten BRICS-Mitglieder einer klaren Verurteilung – aber auch einer offenen Unterstützung Moskaus. Die gemeinsame Erklärung des Gipfels 2023 erwähnte den Krieg nicht einmal beim Namen, sondern sprach nur allgemein von „anhaltenden Konflikten“.


Eine neue Weltordnung nimmt Gestalt an


Sollten die BRICS ihre internen Spannungen in den Griff bekommen, ist ihr Aufstieg zu einer bestimmenden Kraft in der Weltpolitik nicht mehr aufzuhalten. Ihre wirtschaftliche Bedeutung ist bereits jetzt enorm: Die Mitgliedsstaaten erwirtschaften rund 39 Prozent der weltweiten Wirtschaftsleistung – mehr als die G-7-Staaten zusammen. Sie stellen 48 Prozent der Weltbevölkerung  und sind für über die Hälfte des globalen Wirtschaftswachstums verantwortlich. Eine große Zahl junger Menschen im erwerbsfähigen Alter treibt Wirtschaftswachstum und Innovation voran. Die Erweiterung verstärkt diesen Vorteil noch. Länder wie Äthiopien, Ägypten und Indonesien bringen frische demografische Kraft, während sie gleichzeitig die Alterung in China und Russland ausgleichen. 


Doch wirtschaftliche Macht allein macht noch kein schlagkräftiges politisches Bündnis. Die BRICS verfügen über kein gemeinsames Militärbündnis, keine verbindlichen Beschlüsse, keine zentrale Struktur. Die Präsidentschaft wechselt jährlich, was langfristige Planung erschwert.


Was jedoch bleibt, ist der Wunsch nach Veränderung. Die Länder des Globalen Südens fordern zu Recht eine gerechtere Verteilung von Macht und Einfluss in den internationalen Institutionen. Die BRICS sind Ausdruck dieser Forderung – und sie werden bleiben. Ihre Rolle in der künftigen Weltordnung gewinnt mit jedem Tag an Klarheit.


Das Bündnis besteht heute aus zehn Vollmitgliedern und weiteren elf Ländern mit Partnerstatus. Mit der Erweiterung hat sich auch die Bezeichnung gewandelt: Immer häufiger ist von BRICS+ die Rede. Ein Plus, das für die wachsende Bedeutung und Reichweite des Bündnisses steht, geografisch, politisch, wirtschaftlich wie auch inhaltlich, in einem strategischen globalen Portfolio eines Anlegers.


Wenn Indien 2026 den Vorsitz übernimmt, wird sich zeigen, ob Modi seine Vision einer „neuen Form“ der BRICS tatsächlich umsetzen kann. Fest steht: Der Westen wird sich verstärkt mit einer selbstbewussteren Stimme aus dem Süden auseinandersetzen müssen. Die Zeit, in der einige wenige Länder die globale Agenda bestimmten, neigt sich ihrem Ende.

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